Campanile in Affoltern

  21.09.2022 Aktuell, Foto, Gesellschaft

Auf dem Rasen vor der Kirche in Affoltern i.E. stand bis im vergangenen Jahr eine grosse, alte Glocke. Dieses Schattendasein passte nicht zur 614-jährigen Glocke. Der Gedanke, dass sie bereits 83 Jahre lang in ihrem Turm hing, als Christoph Kolumbus das Licht der Welt erblickte, ist kaum vorstellbar. Sie schlug mit dem Lebensrhythmus der Menschen bei Taufen, Konfirmationen, Hochzeiten und Beerdigungen. Letzteres vor allem während den Pestepidemien in den Jahren 1430 und 1470, die viele Menschenleben forderten. Um der Bevölkerung die Bedeutung der ältesten Kirchenglocke von Affoltern i. E. aufzuzeigen, planten der Trägerverein «875 Jahre Affoltern i. E.», der Stiftungsrat Dorfspycher, die Kirchgemeinde und die Einwohnergemeinde, der Glocke mit einem Kunstwerk den Platz zu gewähren, der ihr gebührt.
Der erste quellengestützte Hinweis auf das Bestehen einer Kapelle oder Kirche in Affoltern i. E. geht zurück ins Jahr 1275. Damals gehörte das Dorf zum Dekanat Lützelflüh. Die kleine Kirche, die dem heiligen Erzengel Michael geweiht war, wurde 1357 vom Deutschritterorden in Sumiswald übernommen. 1408 finanzierte er eine aufwendige Kirchenrenovation und erstellte einen Turm. Die Glocke, die dort läuten sollte, wurde vor Ort gegossen und mit einem lateinische Spruch in gotischer Schrift versehen. Übersetzt heisst der Spruch: «Jungfrau Maria, Mutter Christi, des Herren, O Sankt Michael, Erzengel, O Sankt Theodul, betet für uns.» Gleichzeitig fand ein Herrschaftswechsel statt und Affoltern gehörte von dieser Zeit an zu Bern. 1484 erhielt das Dorf einen eigenen Pfarrer und ist seither eine selbstständige Pfarrei. Der Spruch auf der Glocke passte zur römisch-katholischen Gesinnung von Affoltern, doch als der Kanton Bern 1528 reformiert wurde, schien die Fürbitte, welche die Glocke bei jedem Schlag aussandte, eher unpassend. Ein Glück, dass sie sich hoch oben im Turm verstecken konnte. So überlebte sie manche Kirchenrenovation.
1938 hatte die Glocke ausgeläutet, denn bei einer Renovation musste sie vier neuen Glocken Platz machen. Die Einheimischen wehrten sich, als man die über 530-jährige Zeitzeugin einer Giesserei verkaufen wollte. Dank einer Petition und einer Spendenaktion konnte sie gerettet werden. Sie ist die älteste Zeugin von Affoltern, ein wesentliches Stück Lokalgeschichte.

Ein Kunstwerk von Silvan Altermatt
Der Künstler Silvan Altermatt zeigt sich verantwortlich für die Idee und die Umsetzung des frei stehenden Glockenwerkes, auch Campanile genannt, das auf der Südseite der Kirche platziert wurde. Der Glockenstuhl steht auf drei Beinen aus Holz. Ihre Flügelform erinnert an die Engelsflügel des Erzengels Michael und an die Schablone, die beim Glockengiessen verwendet wird. Auf zwei Seiten wurden Bänke montiert, die eine tolle Aussicht auf die Alpen bieten. Die Glocke kann an ihrem neuen Platz auf einer Höhe von drei Metern für besondere Anlässe zum Schwingen gebracht werden. Das Dreibein aus Holz wurde von Käser Holzbau in Weiher erstellt. Kleinere Restaurationen am Klöppel aus Alteisen und ein Läutrad aus einer Kirche im Tessin vervollständigten das Werk.

Einweihungsfest am 1. und 2. Oktober 2022
Am Samstag, 1. Oktober 2022, ist Märittag. Am Dorfmarkt bieten verschiedene Stände landwirtschaftliche Produkte aus der Region an und zeigen einheimisches Brauchtum. Gleichzeitig findet der traditionelle «Öpfumärit» (Apfelmarkt) bei der Schaukäserei statt. Weitere Höhepunkte sind eine Turmbesichtigung und die Ausstellung «Unsere Glocke – Zeitzeugin von Affoltern». Plakate und alte Dokumente gewähren Einblick in die Geschichte der Kirch- und Einwohnergemeinde Affoltern i.E.. Ein Film von 1938 zeigt den damaligen Glockenaufzug, ein anderer das Errichten des Campanile im vergangenen Jahr.
Am Sonntag, 2. Oktober 2022, findet schliesslich ein Fest- und Erntedankgottesdienst mit anschliessender Einweihung des Campanile statt. An beiden Festtagen bewirten Friedli’s Buurehof und die Trachtengruppe Affoltern die Gäste in der Festwirtschaft zum Wagenschopf.

Helen Käser


Mehr Informationen unter www.875jahreaffoltern.ch.

 


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