Epilepsie – elektrische Gewitter im Gehirn

  09.08.2022 Burgdorf, Foto, Gesellschaft, Region

Am Donnerstag, 18. August 2022, um 19.00 Uhr, findet im Kurslokal des Spitals Emmental in Burgdorf der erste Publikumsvortrag nach den Sommerferien statt: «Epilepsie: elektrische Gewitter im Gehirn – häufig und behandelbar.» Referent ist der Leitende Arzt Neurologie, Dr. med. Michael Werlen. Der Vortrag dauert rund 75 Minuten. Danach besteht die Möglichkeit, dem Referenten bei einem Apéro unter vier Augen Fragen zu stellen. Eine Anmeldung ist erwünscht. Diese kann telefonisch unter der Nummer 034 421 18 52 erfolgen – unter Angabe der Anzahl der Teilnehmenden und mit dem Hinweis, dass der geplante Besuch dem Publikumsvortrag «Epilepsie» gilt. Interessierte können sich auch online einschreiben: www.spital-emmental.ch/­
publikumsvortraege.

«D’REGION»: Ein epileptischer Anfall zählt zu den häufigsten neurologischen Beschwerdebildern. Doch was sind Epilepsien überhaupt – welches sind die Symptome, was passiert bei einem epileptischen Anfall?
Dr. Werlen: Ein epileptischer Anfall ist eine vorübergehende Funktionsstörung des Gehirns durch eine abnorme elektrische Entladung von Nervenzellen. Etwas salopp ausgedrückt, ist es wie ein elektrischer Kurzschluss von Hirnzellen. Dieser kann sich ganz unterschiedlich manifestieren. Neben Bewusstseinsverlusten kommen häufig auch ein Kribbeln oder Zuckungen vor. Aber fast jedes immer gleich wiederkehrende Symptom kann Ausdruck eines epileptischen Anfalles sein. Es gibt zum Beispiel Patientinnen und Patienten, welche im Anfall einfach lachen.

«D’REGION»: Im Prinzip kann jeder Mensch einen epileptischen Anfall bekommen. So beispielsweise bei Drogen, bestimmten Medikamenten oder längerem Schlafentzug. Wann ist jemand wirklich an Epilepsie erkrankt?
Dr. Werlen: Das ist richtig. Epileptische Anfälle können auch bei sonst gesunden Menschen vorkommen. Sie sind insgesamt sehr häufig. Etwa jeder zehnte Mensch in der Schweiz hat einmal in seinem Leben einen epileptischen Anfall. Die Auslöser müssen dann aber schon sehr ausgeprägt sein, dass es bei einem gesunden Gehirn zu einem epileptischen Anfall kommt. Die Epilepsie ist die Krankheit, wenn das Gehirn dazu neigt, epileptische Anfälle auch ohne so starke Auslöser zu entwickeln.

«D’REGION»: Was sind die Ursachen einer Epilepsie?
Dr. Werlen: Die Ursachen von Epilepsien sind sehr unterschiedlich. Im höheren Lebensalter neu auftretende Epilepsien sind meistens Ausdruck einer Hirnschädigung. Zum Beispiel kann sich nach einer Hirnblutung im Laufe der Zeit eine Epilepsie entwickeln. Daneben gibt es jedoch auch Epilepsien, welche auf einer genetischen Ursache gründen. So können zum Beispiel Ionenkanäle verändert sein, die dann zu abnormen elektrischen Entladungen führen. Diese Art der Epilepsien ist jedoch deutlich weniger häufig und macht insgesamt rund zehn Prozent aller Epilepsieformen aus.

«D’REGION»: Wie wird eine Epilepsiediagnose gestellt?
Dr. Werlen: Es gibt unterschiedliche Arten, eine Epilepsie zu diagnostizieren. Die Diagnose eines epileptischen Anfalls erfolgt meist klinisch. Das heisst, rein durch das Erzählte von Personen, die den Anfall beobachtet haben, wird die Verdachtsdiagnose eines epileptischen Anfalls gestellt. Dabei muss natürlich immer abgewogen werden, ob auch eine andere Ursache vorliegen könnte. Bei einem Bewusstseinsverlust zum Beispiel einer Synkope die durch eine kurzzeitige Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff entsteht. Wenn es sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit um einen epileptischen Anfall gehandelt hat, braucht es eine weitere Abklärung, um die Ursache des Anfalls zu suchen. Insbesondere ist dann ein Bild des Kopfes nötig, um eine epilepsieauslösende Läsion des Gehirns zu suchen. Entgegen der weitläufigen Meinung braucht es jedoch zur Diagnose einer Epilepsie häufig gar keine Ableitung einer Hirnstromkurve – also eines EEG. Diese ist sehr nützlich zur Diagnose von genetischen Epilepsien. Bei Epilepsien im Rahmen von Hirnkrankheiten spielt die Hirnstromkurve jedoch meist eine untergeordnete Rolle.

«D’REGION»: Wie werden Epilepsien behandelt?
Dr. Werlen: Eine Epilepsie kann unterschiedlich behandelt werden. In einem ersten Schritt versucht man, die auslösende Hirnkrankheit bestmöglich zu behandeln. Zum Beispiel wenn ein Hirntumor festgestellt wird, wird dieser unter Umständen operiert. Neben der Behandlung der Ursache ist es auch meistens nötig, eine anfallsunterdrückende Medikation einzunehmen. Wie der Name bereits sagt, heilt dies die Epilepsie zwar nicht, verhindert jedoch im besten Fall das Wiederauftreten von epileptischen Anfällen. Falls die Medikamente nicht wirken, kommen in ausgewählten Fällen auch interventionelle oder operative Verfahren zur Epilepsietherapie infrage. Zum Beispiel kann mit verschiedenen Stimulationen die Anfallshäufigkeit reduziert werden – oder in seltenen Fällen kann der Anfallsursprung auch operativ entfernt werden.

«D’REGION»: Die Abklärung und Behandlung der Epilepsie hat in den letzten Jahren grosse Fortschritte erzielt. Welche vor allem?
Dr. Werlen: Neben der Verbesserung der epilepsiechirurgischen Interventionen wurden in den letzten Jahren und Jahrzehnten vor allem auch neue anfallsunterdrückende Medikamente auf den Markt gebracht. Der Vorteil von diesen ist häufig nicht die bessere Kontrolle der Epilepsie, jedoch das bessere Vertragen und insbesondere die weniger starken Langzeitnebenwirkungen.

«D’REGION»: Ist eine Epilepsie heilbar?
Dr. Werlen: Gelegentlich ist eine Epilepsie auch heilbar. Genetische Epilepsien können sich manchmal «auswachsen». Auch sonst kann durch die Behandlung der Hirnschädigung gelegentlich eine Heilung erzielt werden. Primäres Ziel der Epilepsiebehandlung ist jedoch immer das Erreichen einer Anfallsfreiheit. Wenn dies ohne Medikamente geht und die Patientin, der Patient somit geheilt ist, ist das natürlich umso besser.

«D’REGION»: Worauf müssen Betrof­fene in ihrem Alltag besonders achten beziehungsweise wie stark kann eine Epilepsie sie einschränken – beispielsweise beim Autofahren, Schwimmen und Reisen?
Dr. Werlen: Auch das ist sehr unterschiedlich. Häufig sind Patienten/-innen mit einer nebenwirkungsfreien Medikation jahrelang stabil und müssen kaum Einschränkungen hinnehmen. Andere Patienten/-innen werden auch mit maximaler Therapie nicht anfallsfrei. Die angesprochene Fahreignung ist diesbezüglich auch ein wichtiger Punkt. Bei einer aktiven Epilepsie ist die Fahreignung prinzipiell nicht gegeben. Je nach Beruf oder Wohnort kann dies natürlich sehr einschneidende Folgen haben, die weit über das Medizinische hinausgehen. Auch darum ist die gute Anfallskontrolle immer das Ziel, sodass die Fahreignung im Verlauf wieder attestiert werden kann und damit auch eine gute Sicherheit besteht, um Hobbys wie Schwimmen und Reisen ohne Gefahr ausführen zu können. Ich suche mit den Betroffenen immer eine Lösung, damit trotz der Epilepsiediagnose ein möglichst normales Leben gewährleis­tet ist, da Epilepsie ja häufig nicht heilbar ist.
 
«D’REGION»: Viele Menschen sind verunsichert, wenn sie einen epileptischen Anfall beobachten. Wie reagiert man in solchen Situationen am besten?
Dr. Werlen: Das Beobachten eines Anfalls führt bei den meisten Menschen zu einer starken Verunsicherung. Auch Fachpersonen fühlen sich häufig in dieser Situation überfordert. Meistens ist ein epileptischer Anfall selbstlimitierend. Das bedeutet, dass der Anfall von alleine aufhört – meis­tens bereits schon innerhalb weniger Minuten. Das Wichtigste ist, die Patientin, den Patienten vor den Folgen des Anfalls zu schützen. So sollte man gefährliche Gegenstände wegräumen. Nach einem Anfall sind die Patienten häufig sehr müde oder gar bewusstlos. Dann ist es wichtig, sie in die Bewusstlosenlagerung zu bringen. Bei einem Anfall, insbesondere mit nachfolgendem Bewusstseinsverlust, muss bei einem erstmaligen, noch nicht abgeklärten Ereignis immer die Sanitätspolizei gerufen werden.

«D’REGION»: Worauf werden Sie an Ihrem Vortrag das Hauptgewicht legen?
Dr. Werlen: In meinem Vortrag werde ich insbesondere darauf eingehen, wie unterschiedlich sich epileptische Anfälle manifestieren können und wie man sie erkennen kann. Auch werde ich darüber sprechen, wie man einen epileptischen Anfall abklären muss und welche Therapieoptionen man den Betroffenen aktuell bieten kann.

Hans Mathys


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