Jede Rolle vor, auf und hinter der Bühne ist wichtig

  26.07.2022 Aktuell, Foto, Kultur, Gesellschaft, Region, Lyssach

Momentan ist sie gleich in zwei Rollen auf der Moosegg zu sehen: die Lyssacherin Vreni Eggimann. «Es sind zwei kleine Rollen, die mir aber sehr gefallen», erklärt die 65-Jährige dazu. «Theaterspielen ist etwas Wunderschönes – und hier auf der Moosegg spielen zu dürfen ist ein Wirklichkeit gewordener Traum von mir.»
Vreni Eggimann kam erst als Erwachsene mit dem Amateurtheater in Berührung. «Als der Theaterverein in unserem Dorf ‹Die Bühne› 1993 Ibsens ‹Peer Gynt› aufführte, wurde ich angefragt, ob ich mitmachen würde – als Programmverkäuferin», erzählt die Lyssacherin schmunzelnd. «Ich habe mich danach nach oben gearbeitet und kam zur Kasse und zur Pausenbar.» Gespielt hätte sie eigentlich auch gerne, aber aus zeitlichen Gründen war dies nicht möglich. Der Traum jedoch, irgendwann mal selber auf der Bühne zu stehen, blieb.
Auch wenn sie lange nicht auf der Bühne gestanden habe, habe sie immer die Spielkurse der «Bühne» Lyssach, der Kirchgemeinde Kirchberg und von anderen Anbietern im Bereich Amateurschauspiel besucht: «Ich war immer total begeistert und fasziniert von der Möglichkeit, in andere Rollen zu schlüpfen – und auch mal das auszuleben, was ich im richtigen Leben nie tun würde.»

Beginn des Theaterspielens: 500-Jahr-­Jubiläum der Kirche Kirchberg
2006 feierte die reformierte Kirchgemeinde Kirchberg das 500-Jahr-Jubiläum der Kirche. Und weil Vreni Eggimann damals Kirchgemeinderätin und in der Kinder- und Jugendarbeit aktiv war – sie leitet übrigens bis heute den «Sunneträff» Lyssach –, wurde sie beauftragt, die theatralischen Einlagen und Anspiele jeweils am Anfang der insgesamt zehn Gottesdienste mitzuorganisieren: «Ich war für die Suche nach Spielenden und zusammen mit Greti Aeby für die Kostüme verantwortlich – und oft habe ich selber mitgespielt.» Bei Familien- und «Chum ufe – chum ine»-Gottesdiensten kam noch eine weitere Leidenschaft von Vreni Eggimann zum Zuge: das Schreiben von Kurzgeschichten und Anspielen, die dann zu Beginn von diesen speziellen Gottesdiensten zum Einsatz kamen.

Viele reizvolle Rollen
2008 ging schliesslich der lang gehegte Traum in Erfüllung. Die «Bühne» Lyssach habe nämlich «Krach in Chiozza»
aufgeführt und weil eine Spielerin aus beruflichen Gründen ihre Rolle habe zurückgeben müssen, habe der damalige Regisseur Kurt Frauchiger sie angefragt: «Ich sagte sofort zu – und ich habe es nie bereut. Denn diese Rolle ist bis heute eine meiner Lieblingsrollen geblieben: die Signora Tagliatella, die zusammen mit zwei Freundinnen auf der Loge sitzt und immer wieder Kommentare über das gespielte Stück abgibt.» Weitere ganz schöne Rollen seien für sie auch das Fräulein Emma in «Geschichten aus dem Wienerwald», die ohnmachtsproduzierende Baronesse und das strenge «Fröilein» auf High Heels in «Der nackte König» gewesen: «Aber eigentlich habe ich – bis auf eine Ausnahme, wo ich mich habe überreden lassen – immer ganz witzige Rollen bekommen, die für mich stimmten. Die Regisseure, unter denen ich bis jetzt gespielt habe, wussten stets, was gut zu mir passt.»
Ganz besonders begeistert sei sie vom jungen Berner Regisseur Simon Burkhalter: «Er hat ein untrügliches Gespür dafür, was Spielende zu leisten vermögen, und er schafft es, aus jedem auch das herauszukitzeln, was im Verborgenen vorhanden ist – auch wenn es die Spielenden selber zunächst gar nicht glauben. Ausserdem ist ihm stets das Gesamtbild und daher jede einzelne Rolle wichtig – von der grössten bis zur allerkleinsten.»

Alle Mitwirkenden sind gleich wichtig
Auch Vreni Eggimann ist überzeugt, dass sämtliche Mitwirkenden ihren Anteil am Ganzen haben und daher gleich wichtig sind: «Denn zu einer rundum gelungenen Produktion gehören eben nicht nur die ‹Stars› und die grösseren Sprechrollen, sondern auch die ganz kleinen Statistenrollen dazu – und die ganze Entourage, die dafür sorgt, dass die Spielenden auf der Bühne das Publikum in die Welt des Theaters entführen können.» Aus diesem Grund richtet Vreni Eggimann, die seit 2011 im Vorstand und seit 2017 Vizepräsidentin der «Bühne» Lyssach ist, ihr Augenmerk auch stets auf die «Rollen, die nicht im Rampenlicht stehen»: «Für mich muss allen wohlsein, die an einer Produktion mitarbeiten – egal, ob jemand schminkt, Parkdienst verrichtet, Sandwiches für die Bar zubereitet, an der Kasse steht, Programme verkauft oder beim Wegräumen und Putzen mithilft.» Auch wenn es oft aus organisatorischen Gründen nicht möglich sei, dass alle Mitmachenden sich immer sehen – bei der «Bühne» arbeiten bei jeder Produktion 80 bis 90 Leute freiwillig
mit –, sei es doch wichtig, dass innerhalb relativ kurzer Zeit ein guter Teamgeist entstehe: «Und dafür muss jeder und jede merken, dass seine und ihre Arbeit wertvoll fürs Ganze ist und geschätzt wird.»

Auch Statistenrollen sind nicht zu unterschätzen
Sie selber sei nie enttäuscht gewesen, wenn es keine Rolle für sie gehabt habe, betont Vreni Eggimann: «Dann habe ich eben andere Arbeiten übernommen.» Für sie sei es auch kein Problem, wenn sie nicht eine Hauptrolle bekomme: «Im Gegenteil, oft gibt es unter den sogenannt kleinen Rollen wahre Bijous: charakterstarke, skurrile Figuren, die den Leuten Freude machen. Dazu kommt, dass Statistenrollen durchaus tragende Stützen fürs Ganze sein können, wenn sie gut eingesetzt und gespielt werden.» Ein gutes Beispiel dafür seien ihre beiden jetzigen Rollen auf der Moosegg: «Grundsätzlich sind das ja beides Statistenrollen, aber beide sind äusserst reizvoll zum Spielen und sie sind – wie ich bei Rückmeldungen aus dem Publikum gehört habe – auch zum Zuschauen witzige, jeweils bestens in die Szenen passende Figuren.»

Perücke als Tor zur Welt des Theaters
Ein ganz wichtiges Utensil fürs Eintauchen in die Rolle sei für sie die Perücke, erklärt Vreni Eggimann: «Sobald ich die Perücke der Figur auf dem Kopf habe, bin ich nicht mehr Vreni, sondern die Figur, die ich im Theater verkörpere.» Spannend hierbei sei immer wieder, dass sich die Figuren, die Vreni Eggimann verkörpert, oft ganz anders als die «echte Vreni» verhalten: «Diese sind oft frech, hochnäsig, unfreundlich oder sogar gemein und sie tun Dinge, die ich mich im normalen Leben niemals getrauen würde.» Sobald die Perücke nach einer Vorstellung aber jeweils wieder auf den Styroporkopf zurückgekehrt ist und die Kostüme am Kleiderbügel hängen, hat die Lyssacherin auch ihre Rolle wieder «an den Nagel gehängt» – mindestens bis zur nächsten Vorstellung. «Ein ganz kleines Stück von jeder Rolle nehme ich jedoch immer mit und bewahre es in meinem Herzen auf», erklärt die passionierte Amateurspielerin lächelnd. «So wie ich auch von jedem Regisseur, von jedem Stimmbildner und jeder Gesangslehrerin, die ich während all den Produktionen erleben durfte, etwas mitnehme.»

Corona durchkreuzte Theaterpläne
Nur ein einziges Mal habe sie im Theater mit der Enttäuschung gekämpft, erzählt die Lyssacherin: «Das war zu Beginn von Corona. Wir hatten seit November für unsere neue Produktion ‹Drei Männer im Schnee› im April und Mai 2020 fleissig geprobt und waren praktisch schon premierenreif, als es hiess, Theateraufführungen dürften nicht mehr stattfinden …» Zuerst habe der Vorstand beschlossen, alles um ein Jahr zu verschieben, aber Corona habe auch diese Pläne durchkreuzt. «Schliesslich haben wir uns aus verschiedenen Gründen und schweren Herzens entschieden, die drei Männer ganz in den Schnee zu schicken und für 2023 eine neue Produktion unter einer neuen Regie zu planen.»
Nun ist Vreni Eggimann also noch bis am 13. August 2022 regelmässig auf der Waldbühne der Moosegg anzutreffen und ab November 2022 wird sie wieder auf ihrer Stammbühne «Bühne» Lyssach unter der Regie von Davina Siegenthaler für das neue Stück «Knock oder der Triumph der Medizin» von Jules Romains proben.


Andrea Flückiger


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