Strommix 2035 – was kommt aus der Steckdose?

  26.06.2019 Aktuell, Foto, Wirtschaft, Burgdorf, Region

Der Fragenkatalog ist umfangreich, den Sonja Hasler, Moderatorin SRF, als Gesprächsleiterin ihren vier Gästen stellt. Das sind Urs Elber (Empa, Managing Director Research Focus Area Energy), Michael Frank (Direktor VSE, Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen), Werner Luginbühl (BDP-Ständerat, Präsident Kraftwerke Oberhasli AG) sowie David Stickelberger (Geschäftsleiter Swissolar, Schweizerischer Fachverband für Sonnenenergie).

Zahlreiche Fragen
Eingeladen zum 16. Burgdorfer Energie-Symposium hat Urs Gnehm, CEO der Localnet-Geschäftsleitung, der eine angeregte Diskussion zwischen Fachleuten aus Politik und Wirtschaft in Aussicht stellt. 230 Personen – vorwiegend in leitenden Funktionen – aus Burgdorf und dem Versorgungsgebiet der umliegenden Gemeinden sind der Einladung gefolgt und warten auf kompetente Erklärungen zur künftigen Stromversorgung, Versorgungssicherheit, Bedarfsabdeckung durch Eigenproduktion oder Importe aus dem Ausland.
Zudem ist fraglich, ob im Ausland bei Bedarfsspitzen in kalten Winterzeiten genügend Strom für dortige Exporte vorhanden sein wird. Sorge bereitet seit zurückliegenden Wintern auch die Erkenntnis, dass während extremer Kälteperioden bisweilen kaum Sonnenstrahlung vermeldet worden ist und die Windräder gleichzeitig praktisch stillstehen, uns folglich kaum ein Ausweichen auf Solar- und Windstrom möglich gewesen ist. Also was tun?

Guter Stoff – grüner Strom
Bei seiner Begrüssung weist Gnehm darauf hin, dass am 20. Dezember 2019 das Kernkraftwerk Mühleberg definitiv vom Netz gehen wird. Doch woher soll «guter Stoff – grüner Strom» kommen, wenn bis spätestens 2035 sämtliche Schweizer Atomkraftwerke vom Netz genommen worden sind? Bei Importen aus dem Ausland bei Versorgungslücken im Winter kann nicht garantiert werden, dass diese Energie sauber produziert wurde.
Urs Elber (Empa) weist auf den allseits bekannten Umstand hin, dass bei steigendem Wohlstand auch der Energieverbrauch steigt. Das gilt für europäische Staaten inklusiv die Schweiz genau wie für Drittweltländer, die plötzlich von Handys, Elektrogeräten und Fahrzeugen überschwemmt werden. Bei den Kriterien für eine optimale Energieversorgung müssen zahlreiche weitere Punkte wie die Luftreinhaltung, Energiekosten, Verteillogistik, Nachhaltigkeit, Kosten für die Infrastruktur und anderes mit einbezogen werden.
Elber weist darauf hin, dass Strom aus erneuerbaren Energien immer wichtiger wird und nennt explizit die Solarenergie. «Entsprechend unerlässlich ist die Integration in den europäischen Strommarkt, da wir sonst mit Ausfällen im Winter rechnen müssen. Überschüsse und Mangellagen fallen durchs Jahr gleichermassen im Ausland und in der Schweiz an. Hier hilft nur eine seriöse Vernetzung.» Er äussert sich mit Beispielen zur gewünschten Reduktion von CO2, die nicht zwingend durch massive Elektrifizierung von Wärme und Mobilität erreicht werden kann.
Er streift kurz den sich abzeichnenden Einsatz von künftig 1000 mit Wasserstoff betriebenen LKWs auf Schweizer Strassen; an dieses Bild sollten wir uns jetzt schon gewöhnen.

Versorgungssicherheit als oberstes Ziel
Laut Werner Luginbühl rückt die Versorgungssicherheit wieder stark in den Fokus der Öffentlichkeit. Nach seiner Meinung sind die Verantwortlichen in der Lage, dieses Problem zu lösen. Michael Frank ist überzeugt, dass «die Schweiz und Deutschland nach einem Ausstieg aus Atom- und Kohlekraftwerken die Angelegenheit auf politischem Weg lösen können, während Frankreich rund 100 Milliarden Franken für die Instandhaltung seines in die Jahre gekommenen Atomparks aufwenden muss». Für alle Länder gilt die Vorgabe: «Sieben mal 24 Stunden pro Woche besteht Energiebedarf.» Sonja Hasler schiebt nach: «Ein Kraftakt!»
Laut David Stickelberger stockt der Zubau von erneuerbaren Energien; seit 2016 ist ein Rückgang von ganzen 40 Prozent zu verzeichnen. Das bedeutet Rück- statt Fortschritte bei verschiedenen Energieträgern, was sich die Schweiz nicht leisten kann. Auf einem Drittel aller Schweizer Dächer könnte Strom produziert werden, dazu auf zahlreichen Wänden. Er bezeichnet die Sonnen- neben der Wasserkraft als die grosse Hoffnung.
Michael Frank warnt davor, «primär auf eine Importstrategie zu fahren. Der Mix muss breit gehalten sein und vornehmlich einheimische Energie fördern. Beim Wasserhaushalt sind unbedingt künftige Verschiebungen wie beispielsweise das Abschmelzen von Gletschern zu berücksichtigen, weshalb Seen und Wasserspeicher angelegt werden müssen.»

Anstrengungen sind nötig
Der Anspruch «7 x 24» aus der Dose, sauber und günstig, fällt einem nicht in den Schoss, sondern muss vorausschauend geplant und realisiert werden, sind sich alle vier Redner einig. Im Hinblick auf die Klimaerwärmung und die sich abzeichnenden Klimaveränderungen heisst es, die Energieträger Sonne, Wind und Wasser sowie weitere Möglichkeiten sorgfältig zu prüfen und sinnvoll auszubauen. Zuwarten kann gefährlich werden. Frankreich hat laut Frank «2017 eine kalte Dunkelflaute dank Energieexporten der Schweiz knapp überlebt». Solche Wochen treten immer wieder auf.
Elber plädiert für Langzeitspeicher für Wasserkraft und virtuelle Importräume, wenn alle europäischen Staaten im Winter zu wenig Energie produzieren können. Im März 2018 verzeichnet Deutschland eine Dunkelflaute. Dann heisst das Problem Versorgungs- und Netzsicherheit, weshalb immer wieder Reservekraftwerke beantragt werden. Dazu kommen die Einwände von Natur- und Tierschützern, wenn es um Fragen der Restwassermenge (Schutz der Fische) versus Versorgungssicherheit geht.

Autark ist nicht zahlbar
Die Redner streifen zahlreiche Anliegen von Bevölkerung und Wirtschaft und müssen konstatieren, dass der Energiebedarf der Schweiz bei Energieengpässen auch durch Importe nicht vollständig zu decken ist. «Jeder Staat befriedigt in kalten Wintermonaten zuerst die Ansprüche der eigenen Bevölkerung, bevor er dem Nachbarstaat hilft.» Trotzdem kommt eine autarke Energieversorgung nicht infrage, sie wäre laut Luginbühl viel zu teuer. Also bleibt das derzeit heftig umstrittene Rahmenabkommen, in dem auch diese Fragen behandelt werden. «Längerfristig muss sich die Schweiz auf grosse Nachteile ohne dieses Rahmenabkommen einstellen», warnt er. «Wir sind auf einen Austausch angewiesen.» Genau wie Deutschland bei seinem Energietransfer von Nord nach Süd, wo sich die grossen Industriezentren befinden, während die Energiegewinnung im Norden – unter anderem durch die riesigen Windparks in der Nordsee und auf den flachen Landgebieten – stattfindet. Deutschland wird das meistern, sind sich die Redner einig. Dann fällt noch der Begriff Batteriefarmen, wobei von Batterien in Container-Grössen gesprochen wird.

Diskussion wieder aufnehmen
Laut Elber «wird erneuerbare Energie immer wertvoller, doch muss die Diskussion über neue Kernkraftwerke früher oder später wieder aufgenommen werden. Heute ist das Thema infolge der Katastrophen von Tschernobyl (26.4.1986) und Fukushima (11.3.2011) nicht diskussionswürdig.» Am 22. Mai 2011 beschliesst der Bundesrat den Ausstieg aus der Atomenergie, der Nationalrat stimmt am 8. Juni 2011 der Motion zu, der Ständerat folgt am 28. September 2011. Die bestehenden Anlagen sollen nach einer Gesamtlaufzeit von 50 Jahren, also 2034, abgeschaltet werden.
Der Gesetzesvorschlag des Ständerates spricht ausdrücklich nicht von einem «Technologieverbot; sondern der Bundesrat soll regelmässig über die Weiterentwicklung der Atomtechnologie berichten».
Das ist angebracht, denn der Anteil der vier Kernkraftwerke mit fünf Reaktorblöcken und einer installierten Bruttogesamtleistung von 3372 MW am Netz entspricht 40 Prozent an der gesam­ten Stromerzeugung. Der noch aktive Reaktorblock Beznau 1 ist am 17. Juli 1969 in Betrieb genommen worden und somit heute der älteste, aktive Kernreaktor der Welt.
Alle Redner stimmen zu, dass zu gegebener Zeit das Thema Atomstrom wieder aufgenommen werden muss. «Vielleicht in der vierten oder fünften Generation, wenn wir die Kernschmelzfähigkeit im Griff haben. Dann bleibt immer noch das Abfallproblem.» Alle Redner sind hier gleicher Meinung.
Anschliessend hat das Publikum die Möglichkeit, selber Fragen zu stellen oder diese beim Apéro vor dem Schulgebäude im direkten Gespräch mit den Rednern zu diskutieren. Vorher erfolgt die traditionelle Verlosung eines Elektrovelos. Ein junger Mann geht mit seinem Gewinnerlos auf die Bühne und verzichtet, da er von der UBS als Vertreter zum Symposium geschickt worden sei. Er erntet viel Applaus. Beim zweiten Wahlgang darf Oskar Fiechter, Architekt aus Burgdorf, einen Gutschein von 4000 Franken für ein Elektrovelo, einlösbar im Bike-Shop Burkhard Oberburg, entgegennehmen.

Gerti Binz


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