Psychische Störungen – wie behandeln?

  28.01.2019 Aktuell, Foto, Bildung, Burgdorf, Gesellschaft, Region

Am Donnerstagabend, 31. Januar 2019, 19.00 Uhr, steht im Spital Emmental in Burgdorf der zweite Publikumsvortrag dieses Jahres auf dem Programm. Dr. med. Martin Weber (Leitender Arzt Psychiatrie) und Beatrice Graf (Bereichsleiterin Psychiatrie Burgdorf) werden diesen unter dem Titel «Die Psychiatriestation» gestalten. Nach den beliebten, rund 75 Minuten dauernden Vortragsabenden mit Fachleuten offeriert das Spital Emmental jeweils einen alkoholfreien Apéro. Hier besteht die Möglichkeit, den Fachleuten noch «bilateral» Fragen zu stellen. Die Publikumsvorträge sind gratis, eine Anmeldung ist nicht nötig.

«D’REGION»: Sie werden am 31. Januar 2019 im Spital Emmental in Burgdorf gemeinsam mit Beatrice Graf den Publikumsvortrag «Die Psychiatriestation» gestalten. Was darf das Publikum von diesem Anlass erwarten?
Dr. Weber: Es ist uns ein Anliegen, Berührungsängste mit der «Psychiatrie» zu verringern, indem wir über die Arbeit der Psychiatrie informieren. Insbesondere geht es auch darum, den Sinn und den Ablauf einer stationären Behandlung zu beschreiben.

«D’REGION»: Nimmt die Anzahl von Personen mit psychischen Störungen zu? Wenn ja, worauf führen Sie dies zurück – auf die heutige Leistungsgesellschaft?
Dr. Weber: Dass heute mehr Menschen mit psychischen Störungen behandelt werden, liegt nicht nur an der gesellschaftlichen Situation mit erhöhtem Leistungsdruck, sondern sicher auch an der Veränderung der gesellschaftlichen Einstellung gegenüber der Psychiatrie. Psychiatrische Erkrankungen werden eher als «normale Erkrankung» angesehen, Betroffene holen sich eher Hilfe, als dies noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war. Grundsätzlich wird die Psychiatrie immer weniger stigmatisiert.

«D’REGION»: In welchen Fällen kann eine psychische Krise ambulant behandelt werden, und wann wird eine stationäre Stabilisierung notwendig?
Dr. Weber: Jeder Mensch durchlebt während seines Lebens psychische Krisen, die in aller Regel ohne fachliche Unterstützung vorbeigehen oder aber ambulant behandelt werden können. Nur wenn äussere Umstände zu belastend werden und gleichzeitig die eigenen Bewältigungsstrategien nicht mehr funktionieren, kann eine Krise zur Lähmung führen. In einem solchen Fall ist eine stationäre Krisenintervention notwendig, um das Funktionieren wieder zu ermöglichen.

«D’REGION»: Die Regionalspitäler Oberaargau und Emmental arbeiten mit dem PZM, dem Psychiatriezentrum Münsingen, und den UPD, den Universitären Psychiatrischen Diens­ten Bern, zusammen. Wie funktioniert das?
Dr. Weber: Die Zusammenarbeit mit den Zentrumskliniken funktioniert gut. Bei den Zuweisungen in beide Kliniken handelt es sich häufig um Notfalleinweisungen. Es sind rund 150 jährlich. Nach der stationären Behandlung erfolgt die ambulante Weiterbehandlung dann in der Regel durch die Psychiatrie Emmental.

«D’REGION»: Am Standort Langnau des Spitals Emmental werden 17 Betten für psychisch Kranke betrieben. Kommenden Frühling eröffnet das Spital Emmental in Burgdorf eine wohnortsnahe stationäre offene Abteilung für allgemeine Psychiatrie und im Herbst eine Station für Alters­psychiatrie. Was ist hier neu, und was verspricht man sich davon?
Dr. Weber: Ein wichtiger Punkt ist eben die wohnortsnahe Behandlung, die Besuche von Angehörigen vereinfacht, aber auch eher Gespräche mit weiteren für den Patienten wichtigen Personen wie Arbeitgeber oder Therapeut möglich macht. Auch ist die ins Spital integrierte psychiatrische Station weniger stigmatisiert als ein grosses psychiatrisches Zentrum. Schliesslich versprechen wir uns eine grundsätzlich verbesserte psychiatrische Behandlung von Menschen mit psychischen
Krisen mit Einbettung des stationären Aufenthalts in eine gute und eng vernetzte ambulante Vor- und Nachbehandlung.

«D’REGION»: Von wem werden Ihnen Patienten zugewiesen? Von Angehörigen, von Hausärzten oder – nach speziellen Vorkommnissen hospitalisierter Menschen – vom Spital selber?
Dr. Weber: Die Patienten werden von Hausärzten, psychiatrischen Therapeuten oder anderen Kliniken, aber auch somatischen Stationen des Spitals Emmental zugewiesen. Selbstzuweisungen sind aber auch möglich, ebenso wie Angehörige um eine Aufnahme anfragen können. Wichtig ist jedoch immer, dass die Betroffenen selber auch einverstanden sind mit einer stationären Behandlung.  

«D’REGION»: Gibt es eine Art «Hitparade» nach der Art von Symptomen Ihrer Patienten, und sind Angst-­Panik-Störungen, Stimmen im Kopf, Depressionen, Psychosen und suizidale Krisen meist dabei?
Dr. Weber: Stationär behandelt werden muss, wer mit einer ambulanten Behandlung alleine überfordert wäre und mehr Hilfe benötigt. Hierbei spielt es keine Rolle, welcher Art die Grunderkrankung ist.

«D’REGION»: Am Spital Emmental erarbeiten Fachpersonen aus Medizin, Psychologie, Pflege und Sozialarbeit für die jeweiligen Patienten zugeschnittene individuelle Behandlungspläne. Wie kann sich das der Laie vorstellen, und wie erfolgreich sind diese Pläne – gibt es zuweilen Grund zur Freude, dann wieder Grund zum Frust?
Dr. Weber: Ein individueller Behandlungsplan bedeutet, dass das Angebot sich nach den Problemen des Patienten richtet und nicht der Patient sich am Angebot orientieren muss. Jeder Mensch benötigt eine andere Form von Unterstützung, um wieder funktionieren zu können – sei dies durch unterstützende Gespräche, durch Körpertherapie oder auch durch Medikamente.

«D’REGION»: Ziel ist es, dass psychisch erkrankte Personen möglichst rasch wieder in ihr angestammtes Umfeld zurückkehren können. Gibt es Patienten, wo dies prima gelingt und solche, wo dies klar misslingt?
Dr. Weber: Natürlich gibt es Patienten, die grosse Schwierigkeiten haben, wieder in ihr angestammtes Umfeld zurückzukehren. Trotzdem ist es obers­tes Ziel, diese Autonomie anzustreben. Häufig ist in solchen Situationen eine engmaschige ambulante, möglicherweise auch aufsuchende Behandlung sinnvoll.

«D’REGION»: Oft engagieren sich Angehörige von psychisch erkrankten Personen so stark, dass sie selber quasi auf dem Zahnfleisch gehen und ein Fall für die Psychiatrie werden. Ab welchem Zeitpunkt sollen diese Angehörigen loslassen und – um sich selber zu schützen – ärztliche Hilfe beanspruchen?
Dr. Weber: Dies ist ein wichtiges Thema und zeigt, wie wichtig die Inanspruchnahme professioneller Unterstützung ist. Einerseits gibt es für solche Probleme eine Angehörigenberatung in der Psychiatrie Emmental, andererseits kann sich jede Person, die mit der Begleitung eines psychisch erkrankten Angehörigen nicht mehr zurechtkommt, über die psychiatrische Triage melden und um Hilfe fragen.

«D’REGION»: Früher wurden psychisch kranke Menschen in Anstalten «weggesperrt», «zwangsbehandelt» oder mit Medikamenten «ruhig gestellt», um sie vor der Gesellschaft oder die Gesellschaft vor ihnen zu schützen. Was hat sich diesbezüglich geändert – und wie wichtig sind Medikamente?
Dr. Weber: Medikamente haben den Umgang mit psychiatrischen Krankheiten Mitte des letzten Jahrhunderts revolutioniert und eine wirkliche Behandlung möglich gemacht. In den letzten Jahrzehnten zeigte sich aber zunehmend auch der positive Einfluss von Psychotherapie oder schliesslich auch der Befähigung der Menschen, selbst mit ihrer Erkrankung umgehen zu können: Recovery. Grundsätzlich ist eine psychiatrische Erkrankung heute gesellschaftlich wesentlich mehr akzeptiert, als dies noch vor Jahrzehnten der Fall war, wie auch die immer häufiger gestellte Diagnose eines Burn-outs zeigt.

«D’REGION»: Heute wird offener über psychische Erkrankungen gesprochen und aufgezeigt, weshalb es psychiatrische Einrichtungen braucht. Ist Ihr Vortrag auch als Beitrag in diese Richtung zu sehen?
Dr. Weber: Je eher über psychiatrische Erkrankungen gesprochen werden kann und damit auch eine angepasste Behandlung beginnen kann, desto schneller können sehr verbreitete Erkrankungen wie beispielsweise eine Depression auch überwunden werden. Denn wir wissen heute, dass die meis­ten psychiatrischen Erkrankungen, für die es vor hundert Jahren noch keine Therapie gab, inzwischen vollständig geheilt werden können.

Zu den Personen
Dr. med. Martin Weber ist in Deutschland aufgewachsen und lebt seit 25 Jahren in Bern, wo er in verschiedenen Bereichen seine Weiterbildung vorangetrieben hat: Neurologie, Innere Medizin und schliesslich Psychiatrie. Er arbeitete in diversen psychiatrischen Institutionen im Kanton Bern (Meiringen, Münchenbuchsee und Bern). Zuletzt war er zwölf Jahre Oberarzt einer Akutstation im PZM (Psychiatriezentrum Münsingen). Seit November 2015 ist er Leitender Arzt in der Psychiatrie Spital Emmental, Standort Burgdorf.
Beatrice Graf ist Pflegefachfrau Psychiatrie. Sie arbeitet seit zwanzig Jahren in der Psychiatrie Spital Emmental im stationären, teilstationären und ambulanten aufsuchenden Bereich. Vorher war sie in der alterspsychiatrischen Pflege UPD (Universitäre Psychiatrische Dienste) Bern tätig. Im Verlauf ihrer beruflichen Tätigkeit hat sie mehrere CAS (Certificate of Advanced Studies) in psychiatrischen Bereichen absolviert – wie aufsuchende Unterstützungsmodelle und Konzepte in der psychosozialen Beratung, Sucht und so weiter. Seit April 2016 ist Beatrice Graf als Bereichsleiterin am Spital Emmental in Burgdorf tätig.

Hans Mathys

 


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