Aus für die Papierfabrik Utzenstorf

  31.07.2017 Aktuell, Foto, Utzenstorf, Region

Bereits seit Längerem war bekannt gewesen, dass die Papierfabrik Utzens­torf AG sich in einer finanziell schwierigen Lage befand: Ein hart umkämpfter Markt und die Aufhebung des Euro-Mindestkurses machen dem Unternehmen, das dieses Jahr sein 125-jähriges Bestehen feiert, schon länger zu schaffen. Letzten Dienstag nun gaben Verwaltungsrat und Geschäftsleitung bekannt, dass die Papierfabrik Utzenstorf AG und die luzernische Perlen Papier AG übereingekommen seien, die Produktion von Zeitungsdruckpapier am Standort Perlen zu konzentrieren – sprich: Die Utzenstorfer Papierfabrik wird die Tore schliessen, die Perlen Papier AG, die zur CPH Chemie + Papier Holding gehört, wird zum letzten noch in der Schweiz ansässigen Unternehmen werden, das noch Zeitungspapier herstellt. Die CPH-Gruppe wird ab 2018 die bestehenden Kunden-, Altpapierlieferanten- und Lagerverträge übernehmen, das Altpapiersortierwerk in Utzenstorf soll weitergeführt werden.
Von den momentan 220 Mitarbeitenden werden jedoch 200 eine neue Stelle suchen müssen; ein harter Schlag für die Betroffenen selbst, aber auch für die gesamte Region, denn über achtzig Prozent der Mitarbeitenden kommen aus einem Umkreis von zwanzig Kilometern. Nicht zu unterschätzen sind auch die Folgen für viele lokale und regionale Zulieferbetriebe, die die Schliessung der Papierfabrik zum Teil empfindlich merken werden. Ein Interview mit Alain Probst, Geschäftsführer der Papierfabrik Utzenstorf AG.

«D’REGION»: Alain Probst, wie haben die Mitarbeitenden auf die Ankündigung reagiert, dass die Papierfabrik auf Ende des Jahres ihre Tore schliessen wird?
Alain Probst: Für die meisten kam diese Nachricht ja nicht ganz unerwartet. Wir – und mit wir meine ich ausdrücklich wir alle, Verwaltungsrat, Geschäftsleitung und Mitarbeitende – haben ja in den letzten Jahren viele Anstrengungen unternommen, um unsere Papierfabrik auf Kurs zu halten. Wir haben immer transparent kommuniziert, wie es um die Papierfabrik steht – und trotzdem ist die Nachricht der definitiven Schliessung, unter Vorbehalt der Ergebnisse der Konsultationsphase, halt eben doch ein Schock.
Ich habe aber gestaunt, wie gefasst die Mitarbeitenden reagiert haben. Es gab keine Vorwürfe, keine hässigen Worte. Im Gegenteil, der Grund­tenor war: «Wir haben über Jahre und Jahrzehnte mit Herzblut in der ‹Papieri› gearbeitet, wir wollen bis zum Schluss gute Arbeit leisten.» Nachdem der Verwaltungsratspräsident und ich die Belegschaft über die Schliessungsabsicht informiert hatten, kam ein Angestellter zu mir, klopfte mir auf die Schulter und sagte sinngemäss: «Kopf hoch, das schaffen wir schon – wir wollen hier anständig fertig machen.» Diese Reaktion hat mich sehr gefreut.

«D’REGION»: Die Papierfabrik wurde ja eigentlich bereits damals, als sie noch zur Myllykoski-Gruppe gehörte und niemand die zum Verkauf stehende Papierfabrik erwerben wollte, totgesagt…
Alain Probst: Das war 2009, als schliesslich das damalige Management der Papierfabrik das Unternehmen übernahm. Seither haben wir den Betrieb auf allen möglichen Ebenen weiter optimiert. Wenn man sich vor Augen hält, dass wir in den 90er-Jahren mit 375 Mitarbeitenden 150 000 Tonnen Papier, letztes Jahr mit 220 Mitarbeitenden knapp 200 000 Tonnen pro Jahr fabriziert haben, sind das für mich beeindruckende Zahlen. Wir haben mit knapp einem Drittel weniger Belegschaft rund einen Viertel mehr produziert – das zeigt doch, wie sehr sich unsere Mitarbeitenden für unser Unternehmen eingesetzt haben.

«D’REGION»: Leider haben die ganzen Anstrengungen von Seiten Management und Belegschaft nichts genützt…
Alain Probst: Das würde ich nicht so sehen. Immerhin haben wir die Papierfabrik und damit gut 200 Arbeitsplätze noch etliche Jahre am Leben erhalten können. Letztlich haben uns aber verschiedene äussere Umstände, die wir nicht beeinflussen können, den Rest gegeben – allen voran der schwache Euro, der sich in absehbarer Zeit wohl auch nicht erholen wird. Zudem macht uns der Papierrückgang im Zeitungsdruckmarkt zu schaffen: Vor zehn Jahren wurden rund 9 Millionen Tonnen pro Jahr verarbeitet, bis 2019 wird ein Rückgang auf 4,5 Millionen erwartet. Zudem sind die Altpapierpreise in letzter Zeit stark angestiegen – allein 2017 um zehn Prozent... Dabei bin ich überzeugt, dass wir die Auswirkungen eines einzigen Faktors durchaus hätten verkraften können, aber die Kombination ist für uns schlicht tödlich.

«D’REGION»: Warum haben Sie jetzt entschieden, die Papierfabrik zu schliessen?
Alain Probst: Wir haben unseren Mitarbeitenden gegenüber die Verpflichtung, dass wir sie nicht einfach im Regen stehen lassen. Klar hätten wir die Schliessung bis zum Bankrott hinausschieben können – aber das könnten wir im Wissen darum, wie sehr sich unsere Mitarbeitenden gerade in den letzten Jahren für die Papierfabrik eingesetzt haben, schlicht nicht verantworten. Mit dem Agreement, das wir mit der Perlen Papier AG schliessen konnten, sind wir imstande, nicht nur sämtlichen operativen Verpflichtungen nachzukommen, sondern auch einen anständigen Sozialplan für unsere Mitarbeitenden zu erstellen. Das stand in den Verhandlungen immer im Zentrum.

«D’REGION»: Wie beurteilen Sie die Chancen Ihrer Mitarbeitenden, neue Stellen zu finden?
Alain Probst: Unsere Mitarbeitenden haben in einem Betrieb gearbeitet, von dem sie seit Längerem wussten, dass die äusseren Umstände alles andere als einfach waren. Dennoch sind sie geblieben und haben alles daran gesetzt, um die Papierfabrik am Leben zu erhalten. Sie haben Mehrarbeit und damit eine grössere Belastung in Kauf genommen, sie haben mehr Verantwortung übernommen, sie haben sich bei Prozesszusammenlegungen in neue Arbeitsbereiche eingearbeitet. Solche Mitarbeitenden, wie wir sie haben, sind nach wie vor sehr gesucht – und ich bin überzeugt, dass unsere Mitarbeitenden auf dem Stellenmarkt gute Chancen haben. Selbstverständlich richten wir auch ein internes Jobcenter ein, wo sich Firmen mit Stellenangeboten melden können – und wir haben bereits etliche Angebote hereinbekommen. Ausserdem gehen wir selber auch aktiv Firmen an – gerade bei unseren vier Lehrlingen ist uns sehr wichtig, dass sie möglichst in der Nähe in einem ähnlichen Umfeld ihre Lehre beenden können. Zudem haben wir bereits die Zusage des Kantons, dass wir auch auf die Dienste der Regionalen Arbeitsvermittlung zählen können.

«D’REGION»: Es werden aber garantiert nicht alle sofort oder überhaupt wieder eine Stelle finden – es sind immerhin 200 Stellen, die da verloren gehen…
Alain Probst: Das ist uns klar – dazu kommt, dass wir bis Ende Jahr die gleiche Menge und gleiche Qualität Papier wie bis anhin liefern wollen. Das heisst, wir sind bis Ende Dezember auf unsere Mitarbeitenden angewiesen. Aber vielleicht ist das genau unser Vorteil: Wir, beziehungsweise unsere Mitarbeitenden, haben immerhin eine Vorlaufzeit von einem knappen halben Jahr, um ihre Zukunft neu zu organisieren. Dabei ist unser klares Ziel, allen in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern einen anständigen Abgang zu ermöglichen.
Besten Dank für das Interview.

Andrea Flückiger


Image Title

1/10


Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote