Chronische Schmerzen – welche Therapie nützt?

  28.10.2014 Aktuell, Burgdorf, Gesellschaft

Übermorgen Donnerstag, 30. Oktober 2014, von 19.00 bis 20.00 Uhr, findet im Kurslokal des Spitals Emmental (RSE) der nächste Publikumsvortrag statt. Das Thema lautet: «Impulse für mehr Lebensqualität – Therapie chronischer Schmerzen». Referent ist Dr. med. Thomas Böhlen, Facharzt SSIPM (Swiss Society for International Pain Management) für interventionelle Schmerztherapie und Leiter Schmerz-Zentrum Emmental (SZE). Im Anschluss an den Vortrag – bei einem vom Spital Emmental offerierten kleinen Apéro – steht der Referent auch jenen Interessierten zur Verfügung, die ihre Fragen lieber nicht öffentlich stellen möchten.

«D’REGION»: Wie werden Sie Ihren Publikumsvortrag gestalten?
Dr. Böhlen: Der Vortrag beinhaltet drei Teile. Zuerst werde ich die aktuellen Möglichkeiten der medikamentösen und invasiven Schmerztherapie für chronisch Schmerz­kranke entsprechend der heutigen Möglichkeiten aufzeigen. Dann folgt das Hauptthema «Impulse für neues Leben», wobei es sich um eine operative Möglichkeit bei chronischen Rücken-, Bein- und Armschmerzen durch die Implantation feiner Elelektroden – rückenmarksnah – handelt. Gleichzeitig integriere ich zwei Patien­ten in die Erläuterungen des Verfahrens. Sie geben Auskunft darüber, wie sich ihr Leben durch das Implantat verändert hat.

«D’REGION»: Werden Sie die neue Leitende Ärztin Schmerztherapie, Frau Dr. med. Viviana Da Pozzo, vorstellen?
Dr. Böhlen: Ich werde sie zu Beginn des Vortrages vorstellen. Weil sie hier ihre Arbeit offiziell erst am 1. November 2014 aufnimmt, wird sie am Vortrag nicht anwesend sein.

«D’REGION»: Sie sind Leitender Arzt Anästhesiologie und Leiter Schmerz-Zentrum Spital Emmental. Wie setzt sich Ihr Team zusammen?
Dr. Böhlen: Das neu benannte Schmerz Zentrum Emmental befindet sich im Spital Burgdorf an der Oberburgstrasse. Neben zwei Ärzten arbeiten zwei sogenannte Pain Nurses – Monika Kessi, die Patienten mit einem Implantat betreut, und Manuela Bernhard – sowie unsere gute Fee vom Sekretariat, Catherine Fischer, eng mit uns zusammen.

«D’REGION»: Werden Ihnen die Patienten in der Regel vom Hausarzt zugewiesen?
Dr. Böhlen: Etwa 80 Prozent werden von Hausärzten zugewiesen, zehn Prozent von anderen Kliniken im Haus und zehn Prozent von anderen Spitälern.

«D’REGION»: Was haben Ihre Patienten gemeinsam?
Dr. Böhlen: Das Schmerz-Zentrum behandelt vor allem chronisch Schmerzkranke – zu 95 Prozent in einem ambulanten Setting.

«D’REGION»: Sie sind SSIPM-Mitglied, deren Mitglieder sich mit der interventionellen Schmerztherapie befassen. Was kann sich der Laie darunter vorstellen?
Dr. Böhlen: SSIPM (Swiss Society for Interventional Pain Management) bedeutet nichts anderes als die schweizerische Vereini­gung der invasiv tätigen Schmerz­therapeuten. Invasiv
heisst eigentlich stechen. Dies dort, wo es den Patienten weh tut – um herauszufinden, ob diese Schmerzen mit zusätzlichen Verfahren wie Thermoablation kleiner Nerven, Serien von gezielten ultraschallgesteuerten Infiltrationen oder eben der Implantation eines neuromodulativen Systems behandelt werden können.

D’REGION»: Wann kommt das Schmerz-Zentrum Emmental zum Einsatz?
Dr. Böhlen: Meistens sind es konsiliari­sche Anfragen bezüglich des Managements. Dies vor, während und nach den Operationen bei komplexen Schmerzpatienten. In praktisch allen Fällen ist unsere Anwesenheit nicht nötig, da das Anästhesieteam auch solche komplexen Fälle alleine managen kann.

«D’REGION»: Vor einer unerlässlichen Operation werden wohl alle Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft – welche sind dies?
Dr. Böhlen: Eine gute medikamentöse Vorbereitung unter Einbezug aller Möglichkeiten, der Einsatz von kombinierten Anästhesien unter Einbezug von Schmerzkathetern, die nach der Operation aktiviert werden und nach Abklingen der starken Operations-schmerzen wieder entfernt werden.

«D’REGION»: Wie viele Patienten behandeln und betreuen Sie jährlich im Schmerz Zentrum?
Dr. Böhlen: Pro Jahr sind es zwischen 2200 und 2500 Konsultationen, 600 bis 1000 Interventionen sowie 20 bis 30 Implantationen von neuromodulativen Systemen. Die häufigsten Beschwerden sind Rückenleiden, Nervenleiden und atypische muskuloskeletale chronische Schmerzen – eher selten Tumorleiden.

«D’REGION»: Wie geschieht eine Abklärung und Behandlung von Schmerzzuständen?
Dr. Böhlen: Die Abklärung erfolgt in einem langen Gespräch, einer eingehenden Untersuchung, einer Sichtung des vorliegenden Bildmaterials und einer Aufklärung des Patienten, welche diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten – individuell den Wünschen des Patienten angepasst – aktuell infrage kommen. Dazu gehört eine Risko-Nutzen-Abschätzung sowie der Einbezug aller alternativ- medizinischen Möglichkeiten: Homöopathie, Manualtherapie, Akupunktur, Komplementärmedizin, Psychologie und neu Osteopathie.

«D’REGION»: Wie sieht beim Schmerz-Zentrum Emmental die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit dem Inselspital Bern aus?
Dr. Böhlen: Wir arbeiten eng mit diesem zusammen.

«D’REGION»: Medikamente sind die klassische Behandlungsmethode von Schmerzen. Sind dies meistens Tabletten zum Schlucken?  
Dr. Böhlen: Die Medikamente werden den Gegebenheiten des Patienten angepasst und sind in Tabletten-, Pflas­ter-, Trinklösungs- oder Spritzenform verabreichbar.

«D’REGION»: Setzen Sie auch das schnell wirksame Opioid Fentanyl ein – und mit welchen Nebenwirkungen ist bei diesem oder auch bei anderen Medikamenten zu rechnen?
Dr. Böhlen: Bei chronischen, nicht invasiv zu behandelnden Schmerzen – Patienten, die stark gerinnungshemmende Medikamente einnehmen müssen, dürfen nicht infiltrativ behandelt werden wegen der Gefahr einer starken, nicht stillbaren Blutung – wird Fentanyl häufig in Pflasterform angewendet. Es gehört eigentlich zu den «first-line drugs» in der Behandlung chronischer Schmerzen nach bereits erfolgter Applikation aller anderen Medikamente der WHO Stufen 1 und 2. Als häufige Nebenwirkungen treten vor allem Schwindel, Übelkeit und Erbrechen auf, die aber nach einigen Tagen abklingen. Bei Gebrauch von nicht steroidalen Antirheumatika – auch schlicht Entzündungshemmer genannt – treten sehr häufig Magenbeschwerden und zunehmend auch allergische Reaktionen auf.

«D’REGION»: Hauptziel ist es, bei Patienten mit gezielten Massnahmen eine möglichst gute Lebensqualität zu erzielen. Erreichen Sie dieses Ziel meist?
Dr. Böhlen: Das Hauptziel der Schmerztherapie ist immer, die Lebensqualität zu verbessern und die Mobilität zu erhalten. Ungeachtet des Verfahrens geniesst dies in der modernen Schmerztherapie Priorität. Man darf den Patienten nie versprechen, sie von allen Leiden zu befreien. Vielmehr sollte man mit dem Patienten zusammen entscheiden, was am nützlichsten ist, um eine verbesserte Lebensqualität zu erreichen. Etwa 50 Prozent der Patienten können adäquat behandelt werden, weiteren 30 Prozent verbessern wir die Lebensqualität deutlich, und bei 20 Prozent wird zwar der Schmerzzustand besser, aber aufgrund der jeweiligen Nebenwirkungen kann die Lebensqualität nur minimal verbessert werden.

Zur Person
Dr. med. Thomas Böhlen ist 58-jährig, verheiratet und hat zwei Buben, die 12- und 14-jährig sind. Er wohnt in Boll. Das Berufliche im Zeitraffer: Medizinstudium in Bern mit Abschluss 1985. Primär orthopädisch traumatologische Ausbildung während sechseinhalb Jahren. Danach Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapieausbildung mit Erlangen des Fachausweises Anästhesie und interventionelle Schmerztherapie. Aufbau des Schmerz-Zentrums Burgdorf seit 2006. Seit 2012 Zusammenarbeit mit dem Schmerz-Zentrum Oberland in Thun und Aufbau einer Schmerztherapie im Engadin. Seit 2008 Aufbau eines Schmerz-Zentrums in Ulaanbaatar (Mongolei) mit dem Swiss Surgical Team (SST). Hobbys: Lesen, Kochen, Segeln – «und vor allem die Familie».

Hans Mathys


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